Das mittelalterliche Städtchen Portogruaro ist dank seiner wunderschönen Altstadt und der mit Fresken geschmückten Bogengänge, der Stadttore und des Rathauses an der großen Piazza ein sehr beliebtes Ausflugsziel.
Von Ende Januar bis 04.April 2021 gibt es einen weiteren guten Grund für einen Besuch, dann kann nämlich im Palazzo Vescovile (Bischofspalast) der Stadt die Sammlung Cavallini-Sgarbi bewundert werden: ein Potpourri aus Kunstwerken verschiedener italienischer und europäischer Künstler aus dem 15. bis 19. Jahrhundert. Eine wunderbare Erfahrung in einem gepflegten und noblen Ambiente, ein sublimer künstlerischer Parcours, auf dem der Besucher die ausgestellten Gemälde bewundern kann und gleichzeitig interessante und unterhaltsame Geschichten und Anekdoten über die Künstler wie auch über Vittorio Sgarbi selbst erfährt.
Neben den Glanzstücken dieser Sammlung wie der Madonna della Melagrana von Cavalier d’Arpino beeindruckt vor allem die ausgesprochen avantgardistische, in mancher Hinsicht fast zeitgenössische Darstellung der Frau.
Zwei stellvertretend für alle anderen: einmal die Madonna del Latte von Antonio Cicognara aus dem Jahre 1490. Auf dieser Tafel stillt die Jungfrau nicht nur öffentlich, sondern wird auch mit völlig entblößter Brust gezeigt. Oft ist die Brust auf anderen Werken vom Kopf des Jesuskindes oder von der Hand der Muttergottes verdeckt, hier wird sie hingegen zur Schau gestellt. Ein sehr altes, aber trotzdem modernes und äußerst natürliches und echtes Bild, das sich in der jahrhundertealten Geschichte verliert, aber uns immer noch berührt.
Das zweite, ebenso faszinierende Gemälde ist eine Antithese des ersten: Santa Maria Maddalena portata in cielo dagli angeli des Malers Morazzone aus dem Jahre 1622. Die Darstellung dieses Motivs ist besonders bemerkenswert. Wir alle kennen die Geschichte von Maria Magdalena: Die Dirne und reuevolle Jüngerin des Herrn wird nach ihrer Bekehrung von den Engeln zum Himmel getragen. Wie auf vielen anderen Darstellungen dieses Sujets wird Maria Magdalena auch hier von pausbäckigen Putten begleitet und blickt auch hier nach oben. Auf diesem Bild berührt sie jedoch gut sichtbar ihre Brust, und ein Engel betrachtet diese Geste mit einem pfiffigen Ausdruck, der die Gebärde noch betont. Die Szene verrät einen subtilen und listigen Hintergedanken, der zeitgenössisch und real ist, vielleicht ein bisschen aus dem Rahmen fällt, aber doch sehr menschlich wirkt.
Der Charme dieser Kollektion liegt im Wunsch des Sammlers begründet, eine ganz persönliche und vertraute Geschichte der Kunst zu vermitteln. Die Ausstellung löst sich völlig aus ihrem „privaten“ Kontext und öffnet sich dem Publikum, damit alle daran teilhaben können. Auch die Kulisse ist ideal: ein bischöflicher Palast in der Altstadt von Portogruaro mit ihren Renaissancebauten, eine frühere, geschichtsträchtige Residenz, die heute als Kulturzentrum dient und die Gäste einlädt, sich in diesem ansprechenden und einladenden Rahmen in die Betrachtung des Schönen zu versenken.